Zweite Leseprobe Whisper of Sins

Mit meinen Ahnungen scheint es nicht zum Besten zu stehen. Ich habe angenommen, er würde mich in einen Folterkeller oder Kerker bringen, doch davon ist nicht die geringste Spur zu sehen. Stattdessen ist die Sünde mit mir bis ans andere Ende der Halle gegangen, wo ein unscheinbarer Container steht. Dort hinein hat mich der Kerl gebracht, und kaum habe ich das Innere betreten, hat es mir erst einmal die Sprache verschlagen. Es ist, als hätte ich einen Port-Trank benutzt und wäre in den Gemächern eines Wüstenprinzen gelandet. Die Wände sind mit langen Stoffen behängt, die in lockeren Bahnen bis zur Decke reichen. Auf dem Boden liegen dicke Teppiche, die nicht farbenprächtiger sein könnten. An der rechten Wand steht ein langes Becken, in das sich ein rauschender Wasserfall ergießt. Auf der anderen Seite sehe ich Bücherregale, und in der Mitte liegen große Kissen in einem Kreis. Daneben steht ein Tisch, auf dem eine Wasserpfeife bereitliegt. Der Geruch, der in dem Raum umherschwebt, erinnert mich ein wenig an das Zimmer meiner Mutter. Auch sie hat Räucherstäbchen benutzt, und hier sehe ich ebenfalls etliche vor sich hin glimmen. Eigentlich war mir der Geruch immer viel zu stark und eher unangenehm, aber nun atme ich wiederholt tief ein, um das Gefühl der Geborgenheit meines Zuhauses noch einen Moment länger auskosten zu können.

»Setz dich hin und warte, bis du gerufen wirst«, sagt der Kerl und schenkt mir ein derart kaltes Grinsen, als hätte er mich zu meiner eigenen Hinrichtung geführt.
Ich schlucke schwer und nehme wie befohlen auf einem der wuchtigen Kissen Platz. Ich muss immer wieder hin- und herrutschen, bis ich meine Beine und das Gewicht so verteilt habe, dass ich nicht ständig in dem dicken Kissen versinke.
Der Kerl sagt kein Wort mehr zu mir, verschwindet einfach in Richtung Ausgang und lässt mich zurück. Zeit, meine Gedanken zu ordnen und mich auf das vorzubereiten, was nun kommen wird. Ob das Haddins Zimmer ist? Lebt er hier? Ich blicke zu dem Wasserfall, der Sammlung alter Bücher und den goldenen Tierfiguren, die ich auf einem Mosaiktischchen entdecke. Er hat auf jeden Fall einen sehr speziellen Geschmack. Da ich leider keine goldene Figur bei mir trage, die ich ihm zum Tausch für meine Freiheit anbieten könnte, sehe ich wohl eher schwarz, was meine Ausgangslage für Verhandlungen anbelangt. Was soll ich hier überhaupt? Was hat Haddin mit mir vor? Ganz gleich, was es auch ist, ich werde gut aufpassen müssen. Als Fürst der Neid-Sünden wird er immense Kräfte besitzen. In seiner Gegenwart wird es vermutlich noch schwerer sein, den Neid in meinem Inneren zu unterdrücken.
Meine Finger tanzen unruhig über den festen Stoff der Kissen. Wer hätte gedacht, dass ich je einem der Sündenfürsten gegenüberstehen würde? Mir ist keine Hexe und auch kein Hexer bekannt, die dieses bedauerliche Vergnügen bereits hatte. Dafür kenne ich natürlich die Geschichten, die sich um die Sündenfürsten ranken. Ich weiß, dass jede Sündenklasse von einem Fürsten angeführt wird. Der ist natürlich der Stärkste unter ihnen und verfügt über die größte Kraft. Vor der Zeit der Sanguis lebte jede Sünde für sich, sie kämpften gegeneinander und führten oft Kriege. Die Sanguis haben sie vereint. Genau genommen war es ihr Oberhaupt Victor LaVar. Und er hätte uns Hexen nichts Schlimmeres antun können. Dank ihm sind die Sünden nun eine geordnete Gruppe, deren Fürsten dafür Sorge tragen, dass kein Zwist aufkommt und alle ihre Befehle ausführen. Die Fürsten selbst wiederum unterstehen Victor LaVar, doch glaubt man den Gerüchten, taucht er selbst nur sehr selten auf. Diese Unnahbarkeit hat jedenfalls sehr zu seinem Image beigetragen. In unserer Welt gibt es kein mysteriöseres Wesen als diesen Mann. Vermutlich kann ich froh sein, dass ich es wohl nur mit Haddin zu tun bekomme, wobei der sicher ebenfalls genügend Schrecken verbreiten kann.
Meine Beine schlafen langsam ein. Ich bewege mich hin und her, halte es aber dann doch nicht mehr aus und stehe auf, gehe in dem Raum ein wenig auf und ab, schiebe die eine oder andere Stoffbahn beiseite und entdecke dahinter Bilder von Wüstenlandschaften und Kamelen. Der Kerl scheint wirklich seltsame Vorlieben zu haben.
Ich schiebe den nächsten Vorhang aus dem Weg und entdecke zu meiner großen Überraschung eine Tür. Ist das vielleicht ein Ausgang? Kann ich dadurch in die Freiheit gelangen? Ich wage es kaum, zu hoffen. Vorsichtig lege ich die Hand auf den Türknauf und jubele innerlich auf. Kein Prickeln, kein Blitzen. Vielleicht ist das tatsächlich meine Chance. Und da höre ich Stimmen. Direkt hinter der Tür scheinen sich zwei Personen zu unterhalten.
Mir ist klar, dass es vermutlich keine gute Idee ist. Ich sollte auf der Stelle umdrehen und mich brav zurück auf die Kissen setzen. Aber brav zu sein war noch nie mein Ding und vielleicht kann mir das, was sich hinter der Tür abspielt, dabei helfen, hier rauszukommen. Und so drehe ich ganz vorsichtig den Knauf und schiebe die Tür einen Spalt auf. Was ich sehe, lässt mich den Atem anhalten. Buchstäblich, denn mir schlagen Dampfschwaden entgegen. Ich brauche einen Moment, bis ich mich daran gewöhnt habe, und drehe den Kopf ein wenig mehr nach links. Fassungslos reiße ich die Augen auf. In einem riesigen Bassin, das wohl selbst Kleopatra die Tränen in die Augen getrieben hätte, genießen zwei Personen die wohltuende Wärme des Wassers. Dampfschwaden wabern um Haddin herum, der sich entspannt an den Beckenrand lehnt und sein Gegenüber anschaut: eine wunderschöne Frau mit schneeweißer Haut, die eine Kühle und ein Selbstbewusstsein ausstrahlt, dass mir Gänsehaut über den Rücken rinnt. Ihr langes, blondes Haar hat sie zu einem Knoten zusammengebunden und ihre blauen, wachen Augen ruhen auf dem Fürsten.

»Haddin, ich muss schon sagen, ich bin jedes Mal aufs Neue beeindruckt von diesem wundervollen Ambiente.« Sie gibt ein wohliges Seufzen von sich. »Du weißt die Annehmlichkeiten des Lebens zu nutzen.« Sie nippt an einem silbernen Becher und gibt ein genießerisches Raunen von sich. »Herrlich! Aber glaub bloß nicht, dass du mich so einlullen kannst. Ich bin und bleibe eine knallharte Verhandlungspartnerin.«
Haddin lacht tief. »Meine liebe Crezia, wir kennen uns schon so lange. Denkst du wirklich, ich vergesse deinen scharfen Verstand auch nur für einen Moment?« Seine Augen funkeln, und das kühle Lächeln zeugt davon, dass er ihre Gefährlichkeit nicht für eine Sekunde aus dem Blick verlieren wird.
»Ach, ich bitte dich. Wir sind doch keine Konkurrenten«, fährt die Frau fort. »Wie könnte man gegen dich antreten? Immerhin hast du dieses gigantische Netzwerk aufgebaut, und wie ich feststelle, läuft alles weiterhin sehr erfolgreich. Dieses Internet mit den sozialen Medien ist aber auch ein Vorteil für euch. Überall herrscht heile Welt, glückliche Familien lächeln in die Kameras, junge Menschen mit traumhaften Figuren stellen Dinge vor, ohne die man nicht mehr leben kann. Ein sehr lukratives Geschäft für euch Vidia. Dabei hättet ihr es gar nicht nötig. Der Neid hatte es schon immer leicht.«
»Findest du?«, hakt Haddin ein wenig angesäuert nach und hebt eine Braue. »Nun, ich würde sagen, es ist die Aufgabe von uns Fürsten, Wege zu finden, unsere Quellen zu vergrößern und das Bestmögliche daraus zu machen. Aber lass uns nicht kleinlich sein. Erzähl mir lieber, wie es dir geht. Ich hoffe, du konntest deine Verluste inzwischen wieder wettmachen. Wie viele Leute hast du beim Angriff auf Rosehall verloren? Waren die Verluste bei euch Ligia nicht am größten?«
Es ist nicht zu übersehen, dass Haddin diese Tatsache in vollen Zügen genießt. Offenbar ist es ihm und seinen Leuten deutlich besser ergangen. Ich hingegen starre die Frau fassungslos an. Sie führt die Hochmut-Sünden an?! Sie ist die Fürstin der Ligia?! Welch illustre Gesellschaft sich doch in dieser Wanne versammelt hat.
Crezia winkt ab und wirkt tatsächlich nicht im Mindesten betroffen. »Dafür haben wir auch die meisten Auris erbeutet. So ist es eben, wenn man an vorderster Front kämpft. Andere schienen da ein wenig zögerlicher zu sein.« Gedankenverloren streicht sie Schaum über ihre Arme.
Haddin setzt sich derweil ein Stück auf und beugt sich Crezia entgegen. »Willst du mir etwa unterstellen, dass ich nicht mit vollem Einsatz dabei war und mich feige in den hinteren Reihen versteckt habe?« Seine Stimme wird immer lauter und bedrohlicher.
Doch auch davon lässt die Fürstin sich nicht aus der Ruhe bringen. Sie lehnt sich wieder in das Becken zurück und streckt die Arme aus. »Wer wird denn gleich so empfindlich sein? Natürlich habe ich nicht von dir gesprochen, mein lieber Haddin. Wie käme ich denn dazu?«
So, wie sie die Sätze ausspricht, bin ich mir ziemlich sicher, dass sie den Fürsten für dumm verkauft. Er zögert einen Moment, scheint sich dann aber doch besänftigen zu lassen.
»Auch wir haben gute Ergebnisse eingefahren, würde ich sagen«, erklärt er sichtlich stolz.
»Natürlich. Ich denke, Victor wird mit dem Angriff sehr zufrieden gewesen sein.«
Ich halte den Atem an, als ich den Namen höre. Sprechen sie tatsächlich vom Anführer der Sanguis? Gespannt öffne ich die Tür noch ein klein wenig mehr, um besser hören zu können. Möglicherweise kann ich etwas erfahren, was für uns Hexen von Bedeutung sein könnte.
Haddin gibt ein wütendes Knurren von sich und wedelt abwehrend mit der Hand durch die Luft. »Hör mir bloß mit Victor auf. Er vergräbt sich in seinem Versteck. Niemand weiß, wo er ist, und erst recht nicht, wann er sich mal wieder blicken lässt. Nicht mal uns Fürsten will er treffen, und das, meine Liebe, halte ich für ein absolut respektloses Verhalten. Und ich bin nicht der Einzige, der so denkt. Als Anführer muss er Präsenz zeigen. Es reicht einfach nicht, nur ab und zu Befehle per Brief oder Vision zu erteilen. Das ist der Weg, wie man die Kontrolle verliert, glaub mir das. Überleg mal, wie lange wir ihn nicht mehr zu Gesicht bekommen haben. Und das nur, weil er sich mit seiner Geliebten eine schöne Zeit macht.«
»Du weißt, dass es nicht so ist«, erwidert Crezia. »Und außerdem solltest du solche Reden besser unterlassen. Man könnte dir noch unterstellen, du würdest nicht hinter ihm stehen und einen Aufstand planen. Das würde dir ganz sicher nicht gut bekommen.« Das Blitzen in ihren Augen ist nicht zu übersehen. Die Drohung hängt bleischwer in der Luft und macht den dicken Dampfschwaden Konkurrenz.
Haddin hält den Atem an und scheint, um Fassung zu ringen. »Ich würde ihm niemals in den Rücken fallen. Das weißt du ganz genau. Alles, was ich sage, ist, dass er aufpassen muss. Auch wenn er die Sanguis aufgebaut hat und es allein ihm zu verdanken ist, dass es uns Fürsten überhaupt gibt, so ist er nicht unantastbar. Und meine Meinung ist nun mal, dass er unsere Ziele aus den Augen verloren hat. Ihm sind andere Dinge oder, sagen wir mal, Personen wichtiger.«
»Ich halte seinen Plan für absolut richtig und bin mir sicher, dass es am Ende gelingen wird. Ein erster bedeutender Schritt ist mit dem Angriff auf Rosehall bereits getan. Und ich bin sehr froh, dass ich maßgeblich zu diesem Erfolg beitragen konnte«, erklärt Crezia ungerührt.
Haddin scheint immer weniger Freude an der Unterhaltung zu finden. Seine Miene wirkt düster und er selbst ist sichtlich angespannt. »Nicht jeder kann eine Befallene in eine Hexengemeinde einschleusen. Da ist dir nun mal ein echter Glücksgriff gelungen.«
Ich horche erschrocken auf. Spricht er etwa von Amalia? Weiß er etwa noch nicht, dass sie im Turm sitzt?
»Oh, mit Glück hatte das nichts zu tun«, berichtet die Fürstin voller Stolz. »Ich weiß nun mal, wie ich vorgehen muss, und ich kann sehr überzeugend sein.« Ein süffisantes Lächeln legt sich auf ihre Lippen.
Haddin starrt sie an und sein Blick verdüstert sich. Zorn blitzt darin, und noch etwas anderes …
In diesem Moment spüre ich ein Kribbeln auf der Haut, ein sanftes Vibrieren. Erschrocken sehe ich hinab und fasse zu der Stelle. Mein Optica-Kristall erwacht zum Leben. Wie ist das möglich? Lässt die Magieblockade um mich herum etwa nach? Aber warum? Unsere magischen Kräfte sind stark mit unseren Gefühlen verbunden, aus ihnen ziehen wir unsere Macht. Möglicherweise ist es bei den Sünden ähnlich. Auch sie müssen sich unter Kontrolle halten, und genau das scheint Haddin gerade nicht mehr zu gelingen. Und nun fällt es mir wie Schuppen von den Augen: Er ist neidisch! Er beneidet Crezia um die Befallene, die sie in Rosehall eingeschleust hat. Er wünscht sich ebenfalls solch eine Spionin. Bin ich darum an diesen Ort gebracht worden? Ist es das, was er mit mir vorhat? Noch scheint er nicht zu wissen, zu welcher Hexengemeinde ich gehöre, aber es wird ihn wohl keine großen Anstrengungen kosten, es herauszufinden. Er hätte dann die gleichen Möglichkeiten wie seine Kontrahentin. Will er mich irgendwann nach Rosehall zurückschicken, damit ich dort für ihn spionieren kann? Allein bei dem Gedanken fährt es mir kalt durch alle Glieder. Das darf auf keinen Fall geschehen. Ich schließe die Hand um meinen Optica-Kristall, der längst wieder erloschen ist. Offenbar hat Haddin sich schon wieder im Griff. Aber immerhin kenne ich nun eine seiner Schwächen. Vielleicht kann ich sie nutzen. Wenn seine Macht nachlässt und mein Kristall wieder funktioniert, wäre es naheliegend, dass auch die Fenster und Türen nicht mehr gesichert sind. Könnte die Zeit reichen, damit ich es hinausschaffe? Vermutlich müsste ich ihn sehr reizen und seinen Neid schüren. Kann mir das gelingen? Ich strecke selbstbewusst den Rücken durch. Ich bin gut darin, Leute auf die Palme zu bringen, und bei Haddin wäre es mir ein echtes Vergnügen. Endlich habe ich etwas in der Hand. Am liebsten würde ich sofort zu den beiden reinstürzen und loslegen. Wenn ich mit meinen Vermutungen richtigliege, dann braucht Haddin mich. Ich bin die Untertanin, nach der er sich sehnt. Er kann mich also nicht töten.
Ein Lächeln stiehlt sich auf meine Lippen und ich bin drauf und dran, die Tür aufzureißen. Mein Herz bebt in meiner Brust und pumpt heißes Blut durch meine Adern. Meine Gedanken rasen. Sie können mich nicht umbringen. Niemals. Dazu bin ich zu wichtig. Schon bald werde ich wieder frei sein. Frei wie all diese Influencer, die hier ein- und ausgehen können. Bilder von meinem Zuhause tauchen in meinem Kopf auf – Bäume, Wolken, ein Himmel, die Sonne. Ich will hier raus!
Ich lege meine Hände schützend um meinen Kopf und zische leise. Bei den Göttern, was ist das nur? Diese heftigen Gefühle überwältigen mich beinahe. Das ist nicht richtig. Ich darf nicht unüberlegt handeln. Das wäre mein Verderben. Ich zwinge mich, ruhig zu atmen und meine Gedanken auf etwas anderes zu lenken. Ich darf nicht an meine Freiheit denken, nicht an die Sünden, die ich überlisten muss.
Hochmut, kommt es mir in den Sinn. Beinahe wäre ich tatsächlich in das Zimmer gestürmt, fest davon überzeugt, dass mir die beiden Fürsten nichts anhaben können. Dabei genügt allein ihre Anwesenheit, um diese Empfindungen in mir hervorzurufen und mich unvorsichtig werden zu lassen. Ich muss stark bleiben und meine Gefühle kontrollieren.
Kurz denke ich an Lucius, der dies bis zur Perfektion zu beherrschen scheint. Ich muss mich hinter einer undurchdringlichen Maske verbergen. Nur dann habe ich eine Chance gegen Haddin.
Langsam lasse ich den Türknauf wieder los und mache einen kleinen Schritt zurück. Vermutlich ist es besser, wenn ich auf die Sitzkissen zurückkehre und etwas mehr Abstand zwischen die beiden und mich bringe. Ich drehe mich gerade um, als ich an einer Teppichkante hängen bleibe und einen kleinen Satz nach vorne stolpere. Sofort halte ich inne und wage es nicht mehr, zu atmen. Das können sie nicht gehört haben. Mein Schritt war so leise, und die Teppiche dämpfen alle Geräusche.
»Willst du nicht hereinkommen?«, fragt Crezia in zuckersüßem Tonfall.
Langsam atme ich die angehaltene Luft wieder aus. Verfluchter Mist! Warum müssen Sünden auch so verdammt gut hören können?! Ich straffe die Schultern und versuche, mir bildlich vorzustellen, wie ich all meine Emotionen in einen Safe sperre und ihn gut hinter ein paar Steinmauern verstecke – am besten, ich gieße gleich noch ordentlich Beton darüber. Ich muss durchhalten und darf keinen Moment unachtsam sein.
Ich öffne die Tür und trete in das geräumige Zimmer, in dessen Mitte das Bassin in den Boden eingelassen ist. Im Hintergrund stehen zwei Chaiselongues, davor ein Tischchen mit einer Weinkaraffe und Obst. Auch hier ist jede Menge Stoff kunstvoll im Raum drapiert, und überall stehen goldene Figuren, Kerzenständer und anderer Nippes.
»Komm doch ruhig näher«, fordert mich Crezia auf und streckt mir ihren schlanken Arm entgegen.
»In die Wanne?!«, hake ich erschrocken nach und hebe abwehrend die Hände. »Danke für das Angebot, aber das ist mir wohl ein wenig zu viel Fürstlichkeit auf einmal. Außerdem habe ich keinen Badeanzug dabei. Und ich habe schrecklich empfindliche Haut. Allergikerin, Sie verstehen schon. Wer weiß, was für Zusätze da im Wasser sind.«
Crezia starrt mich an, lässt die Hand sinken und kichert leise. »Du hast mir gar nicht erzählt, was für einen unterhaltsamen Gast du bei dir hast. Eine deiner Influencerinnen ist sie jedenfalls nicht. Sie scheint noch nicht vollkommen von Neid durchdrungen zu sein. Das wundert mich ein wenig. Bist du etwa nachlässig geworden?«
»Ganz und gar nicht. Sie ist sozusagen eine Neuanschaffung«, räumt Haddin etwas widerwillig ein.
»Eine Neuanschaffung, deren Verstand noch funktioniert und die es gar nicht leiden kann, wenn von ihr gesprochen wird, als wäre sie eine neue Lampe.« Ich schaue mich kurz um und füge hinzu: »Oder ein Teppich.«
»Als Teppich wärst du in der Tat recht vorlaut«, räumt Crezia ein, mustert mich aber weiterhin interessiert. »Du trägst Magie in dir. Ich kann sie spüren, auch wenn sie dank Haddins Kraft zurückgehalten wird.« Sie wendet sich an den Fürsten und fragt mit zuckersüßer Stimme: »Mein Lieber, wolltest du sie mir etwa vorenthalten? Du hast eine Hexe gefangen genommen. Herzlichen Glückwunsch! Offenbar hast du vor, denselben Weg einzuschlagen wie ich. Sehr löblich. Eine Befallene unter den Hexen zu haben, ist ein enormer Vorteil, das kannst du mir glauben.«
Haddin scheint es gar nicht zu gefallen, wie sich Crezia über ihn erhebt und ihn behandelt, als wäre er ein kleines Kind, das noch viel zu lernen hat.
»Ich weiß durchaus, welches Potenzial in ihr steckt«, knurrt er zurück.
»Ach ja?«, hake ich nach. »Bisher hatte ich eher das Gefühl, Sie würden mich gar nicht beachten. Ich wurde einfach in dieser Halle ausgesetzt und musste mir selbst einen Reim auf all das hier machen.« Nicht, dass ich wirklich gewollt hätte, dass er sich um mich kümmert. Aber es ist sicher hilfreich, ihn weiter zu reizen in der Hoffnung, dass er erneut die Kontrolle verliert.
»Na, das ist ja erstaunlich. Haddin ist eigentlich so ein guter Gastgeber. Schade, dass du sie das nicht hast spüren lassen. Ich kann dir aus Erfahrung sagen, dass man sehr viel weiter kommt, wenn man den Hexen etwas anbietet. Du musst sie auf deine Seite ziehen. Also zeig ihr, dass es bei uns gar nicht so schlecht ist und sie nur Vorteile von einer Zusammenarbeit hätte. Ich denke, dieses Mädchen hier ist schlau genug, um schnell zu begreifen.«
»Nun, ich verstehe mich leider mit meiner Familie nicht mehr allzu gut und bin auch in meiner Heimatstadt nicht mehr gerne gesehen. Aus diesem Grund bin ich auch gegangen. Aber Sie scheinen mit Ihrer Hexe ja einen echten Glücksgriff gelandet zu haben. Ich bezweifle leider, dass ich derart nützlich sein kann«, versuche ich es weiter.
»Ich hoffe für dich, dass du deinen Scheffel nur unters Licht zu stellen versuchst. Andernfalls wäre es wohl sicher nicht gut für dich. Du solltest darauf hoffen, dass Haddin dich gebrauchen kann. Falls du dich tatsächlich als Reinfall entpuppen solltest, hätte er gewiss keine Verwendung mehr für dich. Was zu schade wäre, denn wie oft fällt einem schon eine Hexe in die Hände?«, säuselt Crezia weiter.
Haddins Kiefer arbeiten, und erneut kann ich spüren, wie mein Optica-Kristall zu vibrieren beginnt. Die Macht des Fürsten schwindet – allerdings wieder nur für einen sehr kurzen Moment. Mit einem Mal steht er auf und steigt splitterfasernackt aus dem Bassin. Ich drehe mich hastig um. Schamgefühl kennt er wohl nicht. Das kommt auf meine Liste der Dinge, die ich über meinen Feind nun weiß, wobei ich keine Ahnung habe, inwieweit mir das helfen soll.
Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie er sich ein Handtuch um die Hüfte schlingt und sich erneut an Crezia wendet. »Es war wie immer sehr nett, mit dir zu plaudern, meine Liebe. Wie du siehst, muss ich mich aber erst mal um meine Gefangene kümmern. Ich bin gleich wieder zurück.« Er deutet eine leichte Verbeugung in Richtung der Sündenfürstin an, die gnädig nickt, dann stapft er auf mich zu, packt mich am Arm und zerrt mich aus dem Raum.
Etwas rüde wirft er mich in Richtung der Kissen und schließt die Tür. Zum Glück kann ich mich noch abfangen. Ich drehe mich um und funkele ihn wütend an, aber er lässt mich gar nicht erst zu Wort kommen.
»Damit eines ganz klar ist: Du fällst mir nie wieder vor einer anderen Person, ob Fürstin, Sünde oder einfachem Menschen, in den Rücken. Du lässt mich nie wieder als Dummkopf dastehen, haben wir uns verstanden?!«
Ich verkneife mir die Bemerkung, dass er das auch ganz gut ohne meine Hilfe schafft, und nicke stattdessen nur.
»Crezia ist eine eitle Pute, ganz und gar von sich überzeugt«, schwadroniert er vor sich hin und läuft wutentbrannt im Zimmer auf und ab. Ich kann für ihn nur hoffen, dass er mit seinen Kräften die Tür abdichtet, sodass Crezia uns nicht hören kann.
»Eine Pute«, murmele ich. »Nun, so hätte ich sie wohl nicht bezeichnet. Eher als Schwan – sagt man denen nicht auch Eitelkeit nach? Aber ich weiß schon, was Sie meinen. Doch nur für mein Verständnis: Sollte die Fürstin der Ligia nicht ohnehin hochmütig sein?«
Er presst die Lippen zusammen und schenkt mir einen eiskalten Blick. Gut, ich konnte ja nicht wissen, dass das hier ein Monolog werden sollte und ich die Klappe zu halten habe.
»Kommt hier her und wagt es, mir Ratschläge, nein, sogar Anweisungen zu geben. Als wüsste ich all das nicht selbst. Du kannst mir glauben, ich weiß ganz genau, wie ich mit dir verfahren muss. Und schon bald wirst du voll und ganz von Neid zerfressen sein. Du wirst mir gehören, hast du verstanden?! Du wirst für mich arbeiten und tun, was ich sage. Du wirst mein Trumpf sein. Schon bald werde ich Crezia in nichts mehr nachstehen.«
Ich hätte da durchaus das eine oder andere Wörtchen einzuwenden, angefangen damit, dass ich mich niemals von ihm benutzen lassen oder meine Heimat verraten werde. Aber ich halte den Mund, denn eines steht für mich fest: Wenn ich hier raus will, dann ist Haddin mein einziger Weg. Nur wenn es mir gelingt, ihn derart aus der Fassung zu bringen, dass seine Magie bröckelt, habe ich eine Chance. Aber das wird in diesen Räumlichkeiten nicht möglich sein. Ich müsste nah bei einem Fenster oder einer Tür stehen. Vielleicht kann ich es dann wagen …
»Ich schätze mal, dass ich dich fortan näher bei mir behalten muss. Ich war noch nie der geduldigste unter den Fürsten, weshalb wir die Sache mit dir etwas vorantreiben sollten.«
Gier funkelt in seinen Augen, und ein kalter Schauder fährt mir über den Rücken. Ich weiß, was es heißt, seine Nähe ertragen zu müssen. Aber genau dort muss ich sein, wenn mein Plan gelingen soll.

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