»Mierda! Wie viele Garcias gibt es denn bitte?!«, zischt Lexie zwei Stunden später vor sich hin und streicht sich wütend durch die dunklen Locken. »Es kann doch nicht sein, dass wir nirgends anknüpfen können. Zumindest ein Name muss uns doch weiterbringen!«
»Am Ende hatte mein Dad wohl recht und das Ganze ist eine Sackgasse«, räume ich ein. Ist das der Grund, warum er mir die Schriftstücke überhaupt gezeigt hat? Weil er wusste, dass ich damit nichts anfangen kann?
»Es ist doch zu amüsant«, höre ich eine Stimme hinter uns und zucke erschrocken zusammen. Ein lautes Knuspern folgt, als Tian sich ein paar Chips in den Mund stopft. »Zwei Hexen, die sich an der Bedienung eines PCs versuchen. Habt ihr wirklich gedacht, ihr findet dort jede Antwort? Tja, in solchen Recherchen steckt viel Arbeit, und zudem muss man wissen, wie und wo man suchen muss.«
»Und du als Sünde bist ein ausgewiesener Computerexperte oder wie soll ich deine Worte verstehen?«, zische ich. »Was machst du hier überhaupt? Und hör auf, alles vollzukrümeln!«
»Ich konnte spüren, dass sich die Auris von zwei Hexen hier in Greenville aufhalten, da dachte ich, es wäre besser, mal nachzuschauen. Aber was ihr hier treibt, ganz ehrlich, da wäre ich nicht draufgekommen.«
»Mach dich nur lustig über uns«, murmele ich und schaue zu Lexie rüber. Dabei vergesse ich glatt weiterzusprechen. Meine beste Freundin hat Mund und Augen weit aufgerissen. Ihr Blick ist einzig und allein auf Tian gerichtet, und in ihrer Miene steht eine Mischung aus Fassungslosigkeit, Panik und Entsetzen. Ihre rechte Hand liegt noch immer auf der Maus, während die andere auf dem Tisch abgestützt ist, als wollte sie sich in die Höhe stemmen und weglaufen. Aber vermutlich wird sie gerade von ihrer Angst an einer Flucht gehindert – oder von einem der anderen tausend Gefühle, die durch ihr Inneres rauschen. Ich kann sie verstehen. Bisher ist sie nur einmal in ihrem Leben einer Sünde begegnet – zweimal, wenn man Lucius mitrechnet, aber irgendwie zählt das nicht. Immerhin wussten wir damals nicht, was er ist. Die Begegnung mit dem Gula im Wald ist jedenfalls nicht allzu gut verlaufen. Es ist also kein Wunder, dass sie unter Schock steht.
»Du bist wohl wirklich noch nie unter eurer Schutzkuppel rausgekommen, was? Einer Sünde scheinst du jedenfalls nicht begegnet zu sein. Oder wie soll ich dein unhöfliches Starren sonst interpretieren?«
Tian lässt Lexie nicht aus den Augen, und sie scheint ebenfalls nicht von ihm wegsehen zu können. Aber immerhin schafft sie es nun, ein paar Worte über die Lippen zu bringen. »Ich … ich habe einen Gula getötet. Mit einem Baum.«
Ähm, ja. Geistreiche Konversation sieht wohl anders aus. Aber ich kenne dieses Phänomen des totalen Blackouts ja selbst. Und immerhin hat sie ganze Sätze zustande gebracht.
»Interessant. Ich werde mich in deiner Gegenwart also von Bäumen besser fernhalten. Und ich hoffe, du wirst dich ebenfalls zusammenreißen. Immerhin würde es Medera nicht gefallen, wenn du mich mit einem Baum zu erschlagen versuchst. Das wäre ein großer Vertrauensbruch in unserer so wundervollen Partnerschaft.«
»Partnerschaft«, wiederholt Lexie und könnte kaum fassungsloser klingen.
»Das ist etwas hoch gegriffen. Es ist nichts weiter als eine Zweckgemeinschaft. Und im Moment sehe ich noch nicht, welchem Zweck du dienst. Hilfreich ist das hier jedenfalls nicht.« Ich nicke in Lexies Richtung, die Tian mit seiner Anwesenheit noch immer zu Tode erschreckt.
»Ich bin also nicht hilfreich?«, fragt er, tippt auf den Bildschirm und sagt in gelassenem Tonfall: »Ich bin immerhin hier, um euch zu sagen, dass ihr euch das sparen könnt. Das ist reine Zeitverschwendung.«
– Ende der Leseprobe –
Das Ebook erscheint am 01.03.2023