Wie ihr bereits wisst, wird am 01. Juli der zweite Band der Schicksalsreihe unter dem Titel “Schicksalsgöttinnen” erscheinen. Ich bin schon so gespannt und fiebere dem Termin sehnsüchtig entgegen. Bis dahin sind es nicht mal mehr zwei Wochen und ich möchte euch auf jeden Fall die Wartezeit ein wenig versüßen. Heute starten wir mit einer ersten Leseprobe. Ich bin gespannt, wie sie euch gefallen wird.
Finsternis. Nichts als Finsternis und Kälte nehme ich wahr. Bin ich tot? Es muss so sein. Immerhin hat mich dieses unendliche Flammenmeer direkt erfasst. Erbarmungslos und verzehrend.
»Nun wach schon auf, los!«, fordert mich eine bekannte Stimme in einem ebenso vertrauten, unfreundlichen Tonfall auf. Ich brauche einen Moment, bis mir klar wird, dass ich wohl noch am Leben sein muss. Oder hat mich Ayden bis in die Hölle verfolgt, um mich dort heimzusuchen?
Ich öffne meine Lider, fühle mich etwas benommen. Noch immer liege ich auf dem Boden in der kleinen Gasse. Noah ist verschwunden. Geblieben sind nur Ayden, Snow und Yoru, der neben mir sitzt und mich tröstend mit der Schnauze anstupst.
»Jetzt komm schon hoch«, brummt Ayden mich an. »Noah ist abgehauen, der Feigling.« Seine Stimme ist voller Abscheu.
Ich dagegen bin einfach nur erleichtert, dass der Kampf erst mal überstanden zu sein scheint. Ich rappele mich auf und stehe auf meinen wackeligen Beinen. Noch immer sehe ich die Flammen, die nur wenige Augenblicke zuvor auf mich zugerast sind und mich erfasst haben. Doch auf meinem Körper sind keinerlei Spuren zu finden.
»Nun hör auf, dich nach Verletzungen abzusuchen«, fährt Ayden mich an. »Ich kann mein Feuer durchaus so kontrollieren, dass es dir nichts antut. Zudem beherrscht dein Schlüsselgeist ebenfalls die Kraft der Flammen. Die Träger sind normalerweise etwas standfester gegenüber dem Element ihres Geistes.«
Meine Augen werden eine Spur schmaler, während ich ihn anblitze. »Es ist nun mal kein allzu schönes Gefühl, eine riesige Flammenwand auf sich zurasen zu sehen. Und woher hätte ich bitte wissen sollen, dass sie mich nicht umbringen wird?!«
»Auch wenn du mir tierisch auf den Nerv gehst, kannst du dir sicher sein, dass ich dich nicht verletzen würde«, fügt er etwas ruhiger hinzu.
»Wer´s glaubt«, murmele ich leise vor mich hin und schaue mich noch einmal um. Noah ist zum Glück tatsächlich verschwunden. Und ich hoffe inständig, dass es dabei auch bleiben wird.
»Wir sollten von hier verschwinden, bevor womöglich noch weitere Noctu auftauchen«, schlage ich vor.
Ayden nickt. »Mein Motorrad steht in der Nähe auf einem Parkplatz.«
Während wir die Gasse verlassen, schweigen wir einen Moment. Noch immer zittern mir die Knie und die Erinnerungen an den Kampf gleißen durch meinen Kopf. Noah ist ein Noctu. Ich war mit ihm aus, habe ihn für einen normalen Menschen gehalten – schlimmer noch, einen Freund, den ich sehr mochte und mit dem ich mir vielleicht irgendwann sogar mehr hätte vorstellen können. Ist denn wirklich jeder, den ich kennenlerne, nur hinter mir her, um mich auszuhorchen und für seine Zwecke zu missbrauchen?!
»Willst du nicht endlich mal etwas zu alldem sagen?«, knurrt mich Ayden an. In seinen Augen tobt mal wieder ein wildes Feuer aus Wut und Ungeduld. »Ich warte!«
Ich seufze und frage mich, ob der Kerl denn wirklich gar kein Taktgefühl hat. »Wozu?«, erwidere ich mit Unschuldsmiene und schüre seine Wut damit nur weiter.
»Wo zum Teufel hast du den Typen kennengelernt? Wie hat er dich überhaupt finden können und wie konntest du auf ihn hereinfallen? Ich meine, hast du wirklich nichts geahnt? Kann man tatsächlich dermaßen dämlich sein?!«
Ich verschränke die Arme vor der Brust und würde ihm auf diese Anschuldigungen am liebsten gar keine Erwiderung schenken. Der Kerl hat sie doch nicht mehr alle! »Wie hätte ich das bitte ahnen sollen? Ich kenne keinen Noctu. Bis heute habe ich nur diese ekeligen Monster gesehen, aber niemanden, der noch ein Mensch war. Oder wenigstens so aussah. Du scheinst Noah dagegen ja schon einige Male über den Weg gelaufen zu sein. Für mich war er einfach nur ein netter Junge, mit dem ich mich ab und an mal getroffen habe. Ich konnte doch nicht …«
Ayden bleibt stehen. Ihm entgleisen die Gesichtszüge. »Ab und an mal?!«, wiederholt er meine Worte und zieht natürlich die richtigen Schlüsse daraus. »Das heißt, du warst mehrmals mit ihm unterwegs?« Er kann es nicht glauben. Und irgendwie geht es mir genauso.
»Ich war heute zum ersten Mal mit ihm aus«, stelle ich richtig. »Davor bin ich ihm dreimal begegnet. Das erste Aufeinandertreffen war in einem Bus, er hat aus Versehen Kaffee über mir verschüttet.«
Ayden seufzt und verdreht die Augen. »Das war garantiert kein Zufall. Da wird er schon gewusst haben, dass du eine Schlüsselträgerin bist, und wollte nur den Kontakt zu dir aufnehmen. Sicher hat er dich zuvor bereits eine ganze Weile beobachtet.«
Ich schlucke schwer, denn allein die Vorstellung ist alles andere als angenehm. Ist Noah mir tatsächlich gefolgt? Wie lange? In welchen Situationen? Was weiß er alles über mich? Ich fühle mich schmutzig und benutzt. Zugleich spüre ich ein tiefes Unbehagen, denn wenn Noah mich beobachtet hat und ich es nie mitbekommen habe, dann kann er es wieder tun.
»Hat dein Fuchs denn nie bemerkt, dass ihr verfolgt werdet?«
»Gesagt hat er jedenfalls nichts«, gifte ich bei diesem Angriff zurück. »Und denkst du, ich wäre mit ihm ausgegangen, wenn ich auch nur geahnt hätte, dass er ein Noctu ist?«
Er mustert mich prüfend. Allein dieser Umstand macht mich fassungslos. Aber offenbar kommt er dann doch zum richtigen Schluss. »Nein, so dämlich wärst nicht mal du.«
»Zu freundlich«, knurre ich leise.
Wir gehen weiter, schweigen erneut, jeder ist mit seinen Gedanken beschäftigt.
»Er wollte nur herausfinden, ob ich tatsächlich eine Schlüsselträgerin bin. Wollte wissen, ob es sich lohnt, mich zu töten«, überlege ich laut und spüre den tiefen Schmerz in meinem Inneren. Ich war so dumm. Schon wieder bin ich auf einen Kerl hereingefallen, der nur mit mir gespielt hat. Aber dieses Mal hätte es beinahe mein Leben gekostet.
Ayden schüttelt den Kopf. »Das wird nicht alles gewesen sein. Noah hat die ganze Zeit davon gesprochen, dass er Pläne mit dir hat. Vermutlich wollte er mit deiner Hilfe mehr über uns Schlüsselträger, unsere Schule, Ausbildung und Können in Erfahrung bringen. Du solltest, ohne es zu wissen, sein Spion werden.«
Ich schlucke schwer. Wahrscheinlich hat Ayden damit recht. Sofort gehe ich im Geiste durch, was Noah sich aus meinen Worten hätte zusammenreimen können. Aber zum Glück bin ich sehr vorsichtig gewesen. Noch einmal sehe ich sein lächelndes Gesicht vor mir, doch die sonst so fröhlichen und warmen Augen sind voller Hohn und Kälte. Dabei fällt mir noch etwas anderes ein. Ich sehe Ayden an. Die folgenden Worte kommen mir nicht leicht über die Lippen. Dennoch weiß ich ohne Zweifel, dass sie richtig sind. »Ich danke dir für deine Hilfe. Ohne dich hätte ich den Kampf vermutlich nicht überlebt.«
Ayden erwidert nichts, schaut mich nur unverwandt an und nickt nach einer gefühlten Ewigkeit schließlich. »Ja, da hast du wahrscheinlich recht.« Auch diese Worte fühlen sich wie ein Dolchstoß an. Ich war so glücklich, dass ich gelernt hatte, Yoru mein Odeon schicken zu können. Ich habe geglaubt, endlich ein Teil der Welt der Schlüsselträger zu sein. Und nun muss ich feststellen, dass ich noch immer nichts weiß und im Grunde komplett am Anfang stehe.
»Ich habe wirklich gedacht, mir bleibt das Herz stehen, als ich dich mit dem Kerl auf der anderen Straßenseite gesehen habe«, sagt Ayden. Seine Stimme klingt erstaunlich ruhig, fast schon sanft. »Ich konnte Noah auf die Entfernung nicht richtig erkennen, war mir also nicht ganz sicher, aber ich hatte den Verdacht. Letztendlich hat er sich leider bestätigt. Er hat sich unser schwächstes Glied ausgesucht und einen Angriff gewagt. Er ist wirklich nicht dumm und wusste genau, was er tun muss.«
»Dass ich in deinen Augen euer schwächstes Glied bin, liegt vor allem daran, dass ich viel zu wenig über eure Welt weiß. Was habt ihr mir schon über die Noctu und ihre Absichten anvertraut? Wie hätte ich ahnen können, dass einer von ihnen hinter mir her sein könnte?«
Erneut sieht er mich auf diese durchdringende Art und Weise an, sodass mir heiß und kalt wird. »Normalerweise ist das auch nicht ihre Vorgehensweise. Das alles muss auf Noahs Mist gewachsen sein. Der Kerl ist zu allem fähig.«
»Wenn ihr das schon nicht kommen sehen konntet, wie hätte mir dann etwas auffallen sollen?«
Ayden seufzt und schüttelt den Kopf. Wir folgen der Straße. Die Welt um mich herum erscheint mir unwirklich. Vor nicht mal einer halben Stunde habe ich noch dem Tod ins Gesicht gesehen, musste mit meinem Schlüsselgeist gegen einen Noctu kämpfen, und nun gehen wir an einer viel befahrenen Straße entlang, Passanten ziehen sorglos an uns vorbei und wissen nichts von dem, was in dieser Stadt vor sich geht.
»Du hast recht«, räumt Ayden ein, und ich glaube, meinen Ohren nicht zu trauen. »Du hattest keine Chance, irgendetwas zu ahnen. Dafür stellt sich Noah auch zu geschickt an.«
Ich freue mich über seine Worte und fühle mich etwas erleichtert. Vielleicht wage ich darum einen Vorstoß. »Du scheinst Noah recht gut zu kennen?«
Er lacht und schüttelt den Kopf. »Nein, ganz sicher nicht. Ich hatte nur das zweifelhafte Vergnügen, ihm schon einige Male im Kampf gegenüberzustehen. Aber da bin ich nicht der Einzige. Für den ein oder anderen Hunter ist die Begegnung mit Noah nicht allzu gut verlaufen. Durch diese Kämpfe weiß ich aber, dass man ihn nicht unterschätzen darf. Er ist verdammt gefährlich. Umso schlimmer, dass du an ihn geraten bist. Ich hoffe sehr, dass du ihm keine wichtigen Informationen über uns gegeben hast.«
Ich halte seinem Blick stand, lasse mich nicht einschüchtern. Mit fester Stimme erkläre ich: »Ich habe ihm nichts über unsere Schule erzählt. Er weiß nur, dass ich auf einer Highschool für Hochbegabte bin und es dort nicht leicht habe. Wir haben wirklich nur über harmlose Dinge gesprochen.«
Ayden blickt ein wenig zweifelnd drein, aber schließlich nickt er. »Wenn du es sagst.«
Wir erreichen den Parkplatz und ich setze mich hinter Ayden auf sein Motorrad. Eigentlich hatte ich gehofft, nie wieder auf diese Höllenmaschine zu müssen. Ayden fährt los und biegt auf die Straße ab. Unsere Schlüsselgeister haben sich längst von uns getrennt, verstecken sich irgendwo hinter Häuserecken, Bäumen und Büschen. Aber sie sind in unserer Nähe und werden uns auch weiterhin folgen, dessen bin ich mir sicher.
»Wir müssen Mr. Collins von diesem Vorfall berichten«, erklärt er.
Es ist ein seltsames Gefühl, ihm schon wieder derart nah zu sein, meine Arme um ihn zu schlingen und seinen Körper unter meinen Händen zu spüren. Doch im Moment beschäftigen mich ganz andere Dinge.
»Du meinst wohl deinen Vater?«
Er nickt. Es wundert mich nicht, dass er ihn mir gegenüber nicht einfach Dad nennt. Ayden ist viel zu pflichtgetreu, hat nur die Schule und deren Aufgabe im Sinn. Sein Vater ist auch sein Boss. Würde er ihn tatsächlich auf diese Weise ansprechen, dann würde das seinen Vater menschlicher machen. Und für Menschlichkeit ist offenbar nicht allzu viel Platz in der Welt der Schlüsselträger.
Mein Magen zieht sich bei der Vorstellung zusammen. Was wird Mr. Collins zu dem Ganzen sagen? Wird er mir glauben, dass ich Noah nichts Wichtiges über die Schule erzählt habe? Wird er annehmen, dass ich mich habe benutzen lassen? Oder wird er mich für schwach halten? Wird er letztendlich Aydens Einschätzung zustimmen und mich als untragbar einstufen? Werde ich von der Schule fliegen? Kurz frage ich mich, was das für mich bedeuten würde. Könnte ich einfach so in mein altes Leben zurückfinden? Und was würde mit Yoru geschehen? Ich hoffe so sehr, dass ich es nicht werde herausfinden müssen.
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